1. Kapitel          Leons Geheimnis

2. Kapitel          Der Schatz der weißen Frau

3. Kapitel          Auf der Ritterburg

4. Kapitel          Ein Verfolger

5. Kapitel          Die Wagenburg

6. Kapitel          Schatzsuche

7. Kapitel          In der Falle

8. Kapitel          Schlimme Überraschung

9. Kapitel          Eine tolle Geschichte

 

Anhang Vom Schutzwall in der Steinzeit bis zur Ritterburg

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Leons Geheimnis

 

„Leon, wo steckst du denn wieder?“

Einen Moment horchte Leon auf die Stimme seiner Mutter. Dann öffnete er die alte Geldkassette, die ihm seine Oma zum 9. Geburtstag geschenkt hatte. Seine Oma war auch schon ziemlich alt, vielleicht noch viel älter als die Kassette, und sie wusste immer, was er gerade besonders gut gebrauchen konnte. Dieses Jahr hatte er dringend einen sicheren Platz für seine Detektivausrüstung gebraucht: eine Taschenlampe, die auch unter Wasser funktionierte, ein Fernglas, ein Stift mit Geheimtinte, ein Detektivausweis mit seinem Namen und noch ein paar andere Dinge. Er legte seine Lupe, ein Stempelkissen und das Blatt Papier mit seinen Fingerabdrücken in die Kassette zurück.

„Leon! Leon, bist du schwerhörig?“

„Nein“, murmelte er so leise, dass es niemand hören konnte, und verschloss die Kassette. „Leon!“ Die Stimme seiner Mutter wurde jedes Mal ein bisschen lauter und schriller. Wahrscheinlich hatte sie Angst, er könnte plötzlich verschwunden sein. Das hatte sie nämlich jedes Mal, wenn sie nicht wusste, wo er war.

Leon krabbelte hinter den alten Rhododendronbüschen an der Gartenmauer entlang und tauchte beim Gartenteich neben der Terrasse wieder auf, wo seine Eltern am gedeckten Mittagstisch auf ihn warteten.

„Hier“, sagte er mit seiner ganz normalen Stimme.

„Warum antwortest du nicht?“

„Habe ich doch.“

„Wo warst du denn?“

„Beim Gartenteich. Ich habe die Frösche im Schilf beobachtet und wollte sie nicht erschrecken.“

Leon war sehr zufrieden mit seiner Ausrede. Niemand ahnte etwas von seinem gut versteckten Detektivbüro. Die Erwachsenen hätten ihn doch nur ausgelacht. Das taten sie gern, wenn er sich etwas Besonderes einfallen ließ. Sie hatten ja keine Ahnung, wie wichtig seine Arbeit eines Tages sein konnte. Vor ein paar Wochen hätte die Polizei beinahe mit seiner Hilfe einen Einbrecher gefangen. Leon hatte gesehen, wie ein Mann im Garten der Nachbarn einen Stuhl auf einen Tisch stellte und von dort über den Balkon in das Haus einstieg. Zwei Polizisten waren ganz schnell mit dem Streifenwagen gekommen. Sie hatten Leon gelobt, weil er sofort die 110 gewählt hatte. Der Einbrecher war aber nur der Nachbar selbst gewesen, der seinen Schlüssel in der Wohnung vergessen hatte.

Leons Detektivbüro war noch nicht fertig. Bislang bestand es nur aus der Geldkassette mit seiner Ausrüstung und zwei Getränkekästen. Eine war zum Sitzen, auf der anderen stand die Kassette. Vor allem fehlte noch ein Dach, denn ein Detektiv musste auch bei Regen den Verbrechern auf der Spur bleiben. Der geheime Ort war ganz hinten im Garten neben der Mauer, über die manche Leute leere Dosen und anderen Müll warfen. Man musste sich ganz tief bücken, um hinter den Rhododendren zu Leons Versteck zu kommen.

 

„Junge, wie siehst du denn aus!“, rief seine Mutter in diesem Augenblick. „Bist du hingefallen?“ Sofort sah sie so erschreckt aus, als wäre ihrem einzigen Kind ein großes Unglück zugestoßen.

Er betrachtete seine Hose. Upsi. Die war ganz schmutzig vom Krabbeln unter den Büschen. Nächstes Mal sollte er sich wohl lieber bücken und nicht auf allen Vieren zurückkommen.

„Nö“, sagte er.

„Wasch dir erst einmal die Hände“, ermahnte ihn sein Vater und ersparte ihm eine Erklärung für seine schmutzigen Knie.

Eine Minute später war Leon zurück. Ganz sauber waren seine Hände nicht geworden. An den Zeigefingern und Daumen klebte noch immer die Stempelfarbe für seinen Fingerabdruck. Schnell nahm er Messer und Gabel in die Hand. Nun konnte niemand die Farbe sehen. Heute gab es Frikadellen mit Kartoffelbrei. Das war eines seiner Lieblingsessen.

Er war gerade fertig mit Essen, als ein dünnes Mädchen mit streichholzkurzen Haaren am Gartentor auftauchte. Es war Lotta, die Neue in seiner Klasse. Er fand es richtig gut, dass Lotta jetzt in seiner Klasse war. Mit den anderen Mädchen kam er überhaupt nicht zurecht, aber ihr hatte er von seinem geheimen Büro erzählt. Leon war sich nämlich sicher: Wenn jemand auf ein richtiges Verbrechen stoßen würde, dann war es Lotta. In seiner eigenen Umgebung gab es nur langweilige Menschen, da geschah bestimmt nichts Aufregendes. Im letzten Jahr hatte jemand den einzigen Apfel von dem neu gepflanzten Bäumchen im Vorgarten geklaut, aber sonst war nichts passiert.

Bei Lotta war alles anders. Ihre Mutter war genauso dünn wie Lotta und hatte lila gefärbte Haare. In einem Nasenloch und in den Lippen steckten silberne Ringe. Das hatte Leon gesehen, als sie Lotta an ihrem ersten Tag zur Schule begleitete. Die beiden besaßen einen großen struppigen Hund. Der hatte wie verrückt gebellt und an der Leine gezerrt, weil er mit Lotta ins Schulhaus gehen wollte.

Leon hatte sich schon immer einen Hund gewünscht, aber seine Mutter war dagegen.

Als Lotta in die Klasse kam, hatte er ihr sofort den freien Stuhl neben sich angeboten. Der Platz war schon das ganze Schuljahr frei, weil alle anderen Kinder ihre festen Freunde hatten, nur er nicht. Er wusste, dass ihn die anderen langweilig fanden. Manchmal ärgerten ihn die anderen Jungs. Sie klauten ihm auf dem Heimweg seine Mütze und lachten ihn aus, weil er nicht so schnell laufen konnte wie sie.

Am liebsten hätte er dem großen Hund den Platz an seiner Seite überlassen, dann hätten die anderen mehr Respekt vor ihm gehabt. Leider hätte das Frau Sommer, seine Lehrerin, niemals erlaubt.

„Warte, ich komme gleich“, rief er jetzt zu Lotta hinüber.

Dummerweise musste er sitzenblieben, bis alle aufgegessen hatten. Eltern bestanden darauf. „In einer guten Familie bleibt man am Tisch sitzen, bis alle aufgegessen haben“, sagten sie. Wenn er einen Bruder oder eine Schwester gehabt hätte, wäre das Warten nicht so öde gewesen. Zu zweit wäre ihnen sicher etwas Lustiges eingefallen.

Das Mädchen neben dem Gartentor nickte und verschwand so plötzlich, wie es gekommen war.

„Wer war denn das?“, wollte Leons Vater wissen.

„Lotta“, antwortete Leon.

„Etwa die Neue in eurer Klasse aus der Wagenburg?“

„Aus einer Wagenburg?“, fragte Leon verwundert.

Seine Eltern schwiegen und sein Vater bekam plötzlich eine steile Falte auf der Stirn. Das konnte nichts Gutes bedeuten.

„Weißt du, wo Lotta wohnt?“

„Nö. Ich habe sie nicht gefragt.“

Leons Mutter wechselte schnell das Thema. „Leon, was macht eigentlich Paul? Vielleicht kannst du ihn einmal einladen.“

Leon verdrehte die Augen. „Paul ist ein Angeber. Außerdem spielt er nicht mit mir.“

Leon wollte gern wissen, was sein Vater mit der Wagenburg gemeint hatte, aber der starrte jetzt auf sein Handy, um irgendwelche furchtbar wichtigen Mails zu checken. Irgendetwas war komisch mit dieser Burg. Leon kannte die Hochburg, eine geheimnisvolle Ruine, die nahe der kleinen Stadt Emmendingen riesengroß über einem Weinberg thronte. Er wusste auch, dass die ersten Siedler in Amerika ihre Planwagen zum Schutz vor Überfällen im Kreis zu Wagenburgen aufgestellt hatten. Aber was mochte das für eine Wagenburg sein, in der Lotta wohnte? Kaum waren alle mit Essen fertig, stürmte Leon davon. Heute war Freitag, da gab es keine Hausaufgaben.

„Aber zum Abendessen bist du bitte pünktlich wieder zurück!“, rief seine Mutter ihm nach.

„Klar doch“, rief Leon und lief zum Gartentor hinaus.